4. Advent – Johannes, Mystiker und Prophet: Lk 3,1-6

 

 

 

Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht: Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Was krumm ist, soll gerade, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.

 

 

 

Johannes - ein Rufer in der Wüste - ein etwas seltsamer Vogel würden wir heute sagen. Ein Mann, der gar nicht so recht in die Gesellschaft passen will. Ein Aussenseiter, ein Eremit, der sich nur von dem ernährt, was die Erde bietet. Ein Einsiedler, mitten in der Wüste, draußen, in der Einsamkeit. 

 

An ihn ergeht das Wort Gottes, ihn, der lieber in der Stille und Einsamkeit verweilt, wird zum Dienst an den Menschen gerufen, Stimme der Wüste, Stimme der Umkehr zu sein. Mystik und Prophetie treffen hier aufeinander. Die tiefe Gotteserfahrung, die Johannes in der Wüste machen durfte, drängt ihn zum prophetischen Handeln. Wahre Mystik ist nie weltabgewandt oder weltvergessen, sondern taucht tief in die verborgenen Geheimnisse dieser Welt und des Seins ein. Einsicht, um - wie ein Arzt - der Welt aufzuzeigen, woran sie krankt. Krank an Verblendung, Gier, Hass, am Verhaftet - sein im Äusseren und Materiellen.

 

 

Bereitet dem Herrn den Weg, basiert auf der Vorstellung, dass das Kommen des Reiches Gottes beschleunigt werden kann, wenn die Menschen beginnen, ein gottgefälliges Leben zu führen. Deshalb ruft Johannes zur Umkehr auf, zur Busse - Metanoia, wie es im Griechischen heisst. Darin steckt das Wort: nous für Geist, Verstand. Wörtlich: Metanoia - die Änderung der Denkart. Es geht darum, dass Denken, die innere Haltung, vielleicht auch die Sichtweise auf die Welt und das Leben zu verändern. Die Taufe des Johannes, den sog. Mikwe-Waschungen angelehnt, ist ein äusseres Zeichen dieser inneren Umkehr. Wer sich von Johannes taufen lässt, zeugt von der Bereitschaft sein Leben grundlegend zu verändern. Dieser Gedanke hat sich auch in der christlichen Taufe erhalten.

 

 

Johannes fasziniert, er eckt an. Vielleicht liegt in seiner Widersprüchlichkeit etwas von der Faszination, die die Menschen anzieht. Vielleicht sind sie auch getrieben von einer inneren Sehnsucht nach Authentizität und Wahrheit. Jesus bringt diese Faszination auf den Punkt, wenn er über Johannes sagt: Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen? (Mt 11,7). Natürlich gab es auch einfach Neugierige, aber was dieser Johannes zu sagen hatte, stimmte seine Hörer*innen nachdenklich. Es war wohl nicht nur was er sagte, sondern auch wie er es sagte, seine ganze Energie, seine Gottverbundenheit, die ihn zum Sprachrohr Gottes machte. Gott aus der Tiefe heraus hörbar, erfahrbar machen. Bereits dies war ein Zeichen der Nähe Gottes. Das Heil ist bereits angebrochen. Die Herzen der Menschen wurden berührt von dieser Kraft und Energie, ja gereinigt. Gereinigt von den falschen Vorstellungen, Fixierungen und Alltagssorgen. Sie wurden innerlich verwandelt. Damit bereitete Gott selbst seinen Weg, öffnete die Herzen, entleert und wäscht sie, damit sie bereit sind, für dessen, der kommen soll - den Messias. 

 

 

Wie können wir zu Wegbereiter*innen in unserer Zeit werden?

 

 

Drei Aspekte sind hier vorzuheben:

 

 

1. Mut gegen den Strom zu schwimmen

 

In unserer schnelllebigen Gesellschaft mit ihren unzähligen Angeboten ist es immer wieder wichtig, Inne zu halten und sich zu fragen, was wirklich wichtig ist: stop running - schauen, was benötige ich, was benötigen andere wirklich. 

 

 

2. Mystik und Prophetie

 

Mystik ist nicht Weltvergessenheit, sondern nach innen schauen. Was geht in mir ab, spüre ich mich, nehme ich meine Umgebung wirklich wahr. Dazu muss man nicht ins  Kloster oder in die Wüste ziehen. Sich hinausnehmen aus dem Strom des Alltags, nach Innen schauen, lernen in diesem Innenraum die Zuflucht zu suchen. Das eigene Herz schenkt Mut und Kraft, Sicherheit und Stärke sich gegen äussere, ungute Einflüsse zu wehren, sich prophetisch einzusetzen für mehr Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in dieser Welt. Nach innen schauen, um einen geschärften Blick für das Aussen zu erhalten.

 

 

3. Dem Herrn den Weg bereiten

 

Das Heil scheint in unserem täglichen Handeln bereits auf. Wir können durch unser Sein etwas von der Nähe Gottes erfahrbar machen in der Art wie wir mit dem Nächsten umgehen. So wie Jesus in seinem Sein Gottes Reich erfahrbar gemacht hat. Bereitet dem Herrn den Weg und Stimme eines Rufers in der Wüste. Wegbereitung für den Herrn ist nicht getrennt von der Erfahrung der Nähe Gottes. Johannes spricht davon, dass einer unter euch ist, den ihr nicht kennt (vgl. Joh 1, 26). Das Heil ist immer schon mittendrin. So sind Ankunft und Gegenwart des Herrn keine zwei getrennten Wirklichkeiten. Das Schon und Noch nicht. Der Herr ist immer nahe und er ist immer der Kommende. Von der Ewigkeit her betrachtet, gibt es keine Trennung, keine Zeitlinie. Vielleicht eher ein Aufscheinen des Ewigen in der Zeit, so dass alle Menschen das Heil Gottes unmittelbar schauen können.

 

 

 

Der neue Tempel – Maria Tempelgang: Hebräer 9,1-12

 

 

 

Der erste Bund hatte zwar gottesdienstliche Vorschriften und ein irdisches Heiligtum. Es wurde nämlich ein erstes Zelt errichtet, in dem sich der Leuchter, der Tisch und die Schaubrote befanden; dieses wird das Heilige genannt. Hinter dem zweiten Vorhang jedoch war ein Zelt, das Allerheiligstes genannt wird, mit dem goldenen Rauchopferaltar und der ganz mit Gold überzogenen Bundeslade; darin waren ein goldener Krug mit dem Manna, der Stab Aarons, der Triebe angesetzt hatte, und die Bundestafeln; über ihr waren die Cherubim der Herrlichkeit, die die Sühneplatte überschatteten. Doch es ist nicht möglich, darüber jetzt im Einzelnen zu reden. So also ist das alles geordnet. In das erste Zelt gehen die Priester das ganze Jahr hinein, um die heiligen Dienste zu verrichten. In das zweite Zelt aber geht nur einmal im Jahr der Hoh priester allein hinein, und zwar mit dem Blut, das er für sich und für die unwissentlich begangenen Vergehen des Volkes darbringt. Damit macht der Heilige Geist deutlich, dass der Weg in das Heiligtum noch nicht offensteht, solange das erste Zelt noch Bestand hat. Das ist ein Gleichnis, das auf die gegenwärtige Zeit hinweist, in der Gaben und Opfer dargebracht werden, die das Gewissen des Opfernden nicht zur Vollkommenheit führen können; es handelt sich nur um Speisen und Getränke und allerlei Waschungen, äußerliche Vorschriften, die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt worden sind. Christus aber ist gekommen als Hohepriester der künftigen Güter durch das größere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist. Nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut ist er ein für alle Mal in das Heiligtum hineingegangen und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt.

 

 

Christus aber ist gekommen als Hohepriester der künftigen Güter durch das größere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist wie es in der heutigen Lesung aus dem Hebräerbrief (9,1.12) heisst. Dieses vollkommenere Zelt ist Maria. Maria, die heute einzieht in den Tempel zu Jerusalem.

 

 

 

Der Tempel des Herrn, das Haus Gottes. Ein Haus des Gebetes, der stillen Einkehr. Ein Haus der Erfahrung des Heiligen: fascinosum et tremendum. Das Haus des Geheimnisvollen. Gott ist still darin gegenwärtig. Die heilige Gegenwart, vollkommen und rein. Ewig, unbegrenzt.

 

 

 

Maria wird in diese heilige Gegenwart eingetaucht. In diese Stille, in diese Reinheit, in diese heilige Gegenwart. Die Stille und die Heiligkeit durchdringen sie. Sie, die bereits Reine, ein offenes Gefäß der heiligen Gegenwart Gottes, schon immer, von Geburt an. Sie, die bereits Tempel Gottes ist wird noch einmal in einer ganz anderen Art und Weise zum Tempel Gottes durch das Eintauchen in Gott an diesem heiligen Ort.

 

 

 

 

 

Eingetaucht in diese Heiligkeit wird sie diese Sehnsucht nach der Stille, nach dieser heiligen Präsenz immer in sich tragen. An mehreren Stellen im Evangelium heisst es: Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. Was nichts anderes bedeutet, als dass sie darüber meditierte. Sie selbst ging den Weg der Verinnerlichung. In diesem Weg ist sie uns als Christ*innen Vorbild.

 

 

 

Dieser Weg der Verinnerlichung führt gleichzeitig nach Aussen, in die Aktion. Das heutige Evangelium beinhaltet den Lobpreis des Magnificat: Magnificat anima mea. Maria wird Selig gepriesen, eine junge Frau aus dem einfachen Volke. Ihre Demut, ihre Armut, ein Hoffnungszeichen für so viele in der Welt, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Sie wird zum Zeichen: Seht die Jungfrau wird ein Kind empfangen wie es bei Jesaja 7,14 heisst. Das Hoffnungszeichen, dass Gott schon immer Emmanuel, Gott mit uns ist. Er ist mit den Kleinen, den Einfachen, die nichts zu bieten haben, ausser sich selbst. Mit den Demütigen und Gedemütigten, den Schwachen und denjenigen die keine Stimme haben. Maria, ein stilles Hoffnungszeichen, in ihrer Einfachheit und Demut, in ihrer Jugend und Reinheit. Sie trägt Gott in sich, sie ist der Neue Tempel, neue Schöpfung. Still und demütig gegenüber der Geschwätzigkeit dieser Welt kündet sie in ihrem Sein das Heil an. 

 

 

 

Maria ist uns Vorbild in ihrem Sein und auf ihrem Weg. Denn auch wir sind durch die Taufe dazu berufen, Tempel Gottes zu sein, jede*r Einzelne von uns. Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? schreibt Paulus in 1 Kor 3,16. Wie Maria sind auch wir durch und durch mit dem Heiligen Geist getränkt. Christus wohnt durch den Geist in uns. So kann die Schwangerschaft Mariens auch als Bild der Christusgegenwart in uns gedeutet werden. Wie sie werden wir zu lebendigen Zeichen der Hoffnung für diese dunkle Welt, in unserem Sein und in unserem Handeln. Den Weg der Innerlichkeit zu gehen, zu beten, zu meditieren, die Stille und die Gegenwart Gottes aufzusuchen, ist gleichzeitig immer ein Weg nach aussen, Zeichen zu sein, für die Gegenwart Gottes in dieser Welt. Oft nicht spürbar, nicht laut und doch da. In unserem barmherzigen Handeln am Nächsten verwirklichen wir unsere tiefste Berufung Tempel des Herrn zu sein. Er, der sagt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer (Hosea 6,6) und der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht.

 

 

 

 

 

 

Betrachtung zu Christkönig: Joh 18,33-37

 

Was ist Wahrheit, fragt Pilatus im gleichen Evangelium.

 

 

 

Was ist Wahrheit

 

 

 

Angesichts einer Welt, die in sich gespalten ist, in der wir uns seit Jahren gegenseitig beschuldigen, vor allem seit Corona, in der unsere Redeweise immer härter geworden und in der wir nicht mehr den Draht zueinander finden, wo jede*r für sich in seiner Bubble lebt und wo Medien und Plattformen den Diskurs bestimmen.

 

 

 

Was ist Wahrheit

 

 

 

In einer Welt, die nur von Katastrophenszenarien bestimmt wird, in der man sich für das nächste Amageddon aufrüsten will. In der Angst und Frustration zum Tolerieren von Gewaltexzessen und Hass führen und die Ablehnung der gegenteiligen Meinung gleichbedeutend wird mit der Verteufelung und Ablehnung des Anderen.

 

 

 

Woher diese Überreaktion, woher diese Unverhältnismäßigkeit, woher dieser Frust und der Mangel an klarsichtiger Rede. Woher dieser Hass und die Gewalt gegenüber Menschen, die sich eine offenere, inklusivere, gerechtere Gesellschaft wünschen und die vielleicht in manchen Bereichen etwas zu weit gegangen sind. Woher dieser Wille, den politischen Konkurrenten auslöschen zu wollen.

 

 

 

Was ist Wahrheit?

 

 

 

In einer Zeit von Lügen und Halbwahrheiten. Richtig ist, was ich meine, nicht mehr ob es der Realität entspricht oder nicht. Differenzierte Sichtweisen? Verpönt. Man muss entweder für oder gegen etwas sein. Leise, kritische Stimmen verstummen. Das stimmt mich nachdenklich.

 

 

 

Vor allem, weil wir alle davon betroffen sind. Das Gift einer populistischen Denkweise ist bereits in unseren Köpfen soweit eingedrungen, dass menschenverachtende Ideen salonfähig geworden sind. Als Christ*innen sind wir davor nicht gefeit. Und doch bietet uns Jesus im heutigen Evangelium eine andere Form von Wahrheit.

 

 

 

Mein Reich ist nicht von dieser Welt

 

 

 

Nicht von der Art dieser Welt. Sein Reich – das Reich Gottes. Ohne Waffen, gewaltlos, wahrheitstreu, bedingungslos liebend, dem Nächsten dienend. Im Matthäusevangelium, Kapitel 25,40 heisst es: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan. Ihr habt mich erkannt, im Armen, im Hungernden oder im Fremden. Sein Urteil wird klar sein, seine Prioritäten sind klar: habt ihr für die Geringsten Partei ergriffen?

 

 

 

Jesus hilft uns wieder den Blick fürs Wesentliche zu bekommen. Weg von den gegenseitigen Beschuldigungen hin zum Dienst am Nächsten, vor allem am Armen. Den Blick zu bekommen für die Leidenden dieser Erde, ungeachtet ihrer Rasse, Religion oder Geschlecht. Weg von den Ideologien und politischen Programmen hin zur (Leidens)erfahrung des/der Einzelnen. Weg von den virtuellen Realitäten hin zur Realität im Hier und Jetzt. Den Blick und das Mass zu finden, hinzuhören und die Gewalt aus unserem Denken und Sprechen herauszunehmen. Sanftmut, Geduld, Weitsicht, Friedfertigkeit nicht als Schwäche, sondern als Stärke und urchristliche Tugend anzusehen und zu praktizieren. Die Diktatoren und Schwätzer dieser Welt hinter uns lassen. In uns gehen, innere Ruhe finden, zu Frieden werden, um den Frieden auszustrahlen, den die Welt nicht geben kann, aber den sie mehr denn je benötigt.

 

 

 

Allerheiligen – Verbundenheit im Leib Christi

 

Fest Allerheiligen (und am 2. November Allerseelen) erinnert uns einerseits an die Einheit und Verbundenheit der Kirche als Leib Christi, andererseits auch an unsere Vorfahren im Glauben mit denen wir verbunden sind und die uns den Glauben weitergegeben haben. 

 

 

 

Es lohnt sich an diesem Tag wieder neu über die Einheit als innere Verbundenheit aller Glieder des Leibes Christi zu meditieren. Nicht nur die äussere Verbundenheit, sondern auch die spirituelle, innere, gegründet in der Taufe und der Eucharistie. Eine Verbundenheit der Liebe, auch über Generationen hinweg.

 

 

 

Wir können hier gleich in mehrfacher Hinsicht von «Leib» sprechen. Da ist zunächst Jesus, der Gesalbte, selbst, in seinem physischen Leib. Durch sein Sein machte er Gott den Menschen erfahrbar. Aber seine Leibhaftigkeit ist nicht nur auf den physischen Leib beschränkt. Er wird zunächst transformiert in einen Auferstehungsleib. Dann kehrt Jesus zurück zum Vater. Er sendet uns den Hl. Geist und ist durch ihn präsent. Die Kirche wird zum Leib Christi, erbaut und gesammelt durch die vielen Leiber seiner Glieder. Der Leib der Kirche ist die Fortsetzung des Leibes Jesu. Wenn wir hier von Leib sprechen, dann können wir sagen, dass es Leib auch in anderen Formen gibt. Auch seine Lehre, das Wort Gottes, ist ein Teil seines Leibes. Jesus ist durch den Hl. Geist in unserer Mitte präsent. Im Wort und in den Sakramenten, aber auch im Gebet, im Verweilen im Hier und Jetzt können wir Jesus berühren und erfahren. Er ist die Quelle unseres Glaubens, der durch die Apostel und die Jünger*innen bis zu uns heute weitergetragen worden ist im Strom der lebendigen kirchlichen Tradition, in der wir durch die Taufe hineinverwurzelt werden.

 

 

 

Auch sind die Glieder dieses Leibes untereinander verbunden. Wir unterscheiden traditionell drei Bereiche der Kirche: die kämpfende Kirche auf Erden, die leidende Kirche im Fegefeuer und die verherrlichte Kirche im Himmel. Die Heiligen werden diesem dritten Bereich zugeordnet. Doch dürfen wir diese drei Bereiche nicht getrennt voneinander betrachten. Über den Tod hinweg sind wir miteinander verbunden. In der Auferstehung wurde der Tod überwunden. Unser Bereich ist präsent im Himmel und der Himmel auch präsent in der irdischen Kirche wie auch die irdische Kirche im Bereich des Fegefeuers und umgekehrt präsent ist. Wir bedingen, interagieren miteinander. So ist Allerheiligen nicht nur ein Fest, um an ganz besondere Menschen, den Heiligen als Vorbilder und Ahnen des Glaubens, zu gedenken, sondern ein Fest, um an das Wesen und die tiefe Verbundenheit der Kirche als Leib Christi zu gedenken, in dem wir alle durch die Taufe geheiligt worden sind.

 

 

 

Wort Gotteshören und umsetzen: Lukas 8,19-21

 

 

 

In jener Zeit

 

19kamen die Mutter Jesu und seine Brüder zu ihm; sie konnten aber wegen der vielen Leute nicht zu ihm gelangen.

 

20Da sagte man ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und möchten dich sehen.

 

21Er erwiderte: Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln.

 

 

 

Zu Jesus gelangen

 

Draußen sein, Aussen vor sein. Die Verwandten Jesu können zu ihm nicht durchdringen. Manchmal können auch wir nicht zu Jesus durchdringen. Die äussere Wand entspricht unserer inneren Wand. Der Geist, der mit allem Möglichen gefüllt ist, ist nicht frei. Sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht verstehen. Verstehen geschieht nicht automatisch, es setzt eine innere Offenheit voraus. Manchmal hören wir etwas, aber wir können es innerlich nicht nachvollziehen. Es trifft nicht ins Herz. Aber wenn wir eine innerliche Bereitschaft, eine Offenheit für Jesu Wort entwickeln, dann können wir ihn von innen her verstehen. Dazu müssen wir zu ihm gelangen. Dieses «zu – IHM – gelangen» kann auf verschiedene Weise geschehen: durch die Betrachtung eines Textes oder einer Begegnung im Alltag, die uns das Herz für Jesu Lehre öffnet. Dann können wir ihn verstehen und ein Bruder oder Schwester im Geiste Jesu werden.

 

 

 

 

 

Das Wort Gottes hören

 

Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters heisst es im Prolog zur Benediktsregel. Das Wort, der Logos, ist zunächst Jesus selbst. Er ist das Fleisch gewordene Wort. Sein Sein, sein Handeln geben bereits Zeugnis von der Gegenwart Gottes. Das Wort Gottes hören bedeutet: hören, was Jesus uns lehrt. Er ist der Lehrer in seinen Worten und in seinen Taten. Denn ein Lehrmeister ist nie Vorbild nur in dem was er sagt, sondern in dem was er tut. Die Lehre Jesu: die Seligpreisungen, die Bergpredigt, die Gleichnisse sind zentral für uns Christen. Nehmen wir diese Lehre wie Samenkörner auf, lassen wir sie wie Regen auf den Boden unsere Herzen fallen. Das Wort meditieren, in sich tragen, damit schwanger gehen.

 

 

…. und danach handeln

 

Wenn wir die Bergpredigt betrachten, so bereiten das Gebot der Vergebung (Mt 5,38-42) und der Feindesliebe (Mt 5,43-48) vielen Christen Mühe. Gerne werden sie umgangen oder verharmlost, da sie kaum umsetzbar seien.

 

 

Zwar benötigen wir ein ganzes Leben, um immer wieder die Lehre Jesu neu zu lernen und einzuverleiben, aber es ist nicht unmöglich, sie umzusetzen. Dabei geht es um die Kultivierung einer inneren Haltung. Die Haltung der Barmherzigkeit und des Nicht-Verurteilens. Wir sind gut darin, schlechte Gewohnheiten im Alltag zu kultivieren, warum dann nicht heilsame?

 

 

Die Psychologie sagt, dass wir häufig nach unseren erlernten Verhaltensmustern reagieren. Vor allem in stressigen Situationen handeln wir oft unbedacht und lassen uns von diesen Gewohnheiten leiten. Wir sind dann nicht bei uns selbst, nicht im gegenwärtigen Moment, sondern mit unseren Gedanken anderswo und spüren uns gar nicht mehr. Damit wird aber bedachtes und reflektiertes Handeln unmöglich. Doch können wir schrittweise im Alltag lernen und uns aneignen ohne innere Härte oder Zwang, sondern mit einer barmherzigen Haltung sich selbst gegenüber:  

 

 

1.     Kurze Pausen einlegen. Sich 5 Min. in Ruhe hinsetzen, spüren was in einem vorgeht.

 

2.     Tägliche Meditation des Evangeliums. Vielleicht eine Woche mit einer Bibelstelle unterwegs sein und diese versuchen umzusetzen.

 

3.     Nächstenliebe und Vergebung haben mit einem Geist zu tun, der nicht verurteilt, nicht nach negativen Gefühlen handelt. Nicht vorschnell urteilen. Auf den anderen genau hinhören und sich versuchen, in die andere Person hineinzuversetzen.  

 

4.     Alltägliche Verrichtungen achtsam und auf den Gegenstand konzentriert ausführen.

 

5.     Abstellen von Radio und Fernsehen als Hintergrundsgeräusche.

 

6.     Beobachten was ein Gespräch oder eine Geste bei mir auslöst.  Gedanken und Gefühle beobachten, wenn man eine Person oder einen Gegenstand betrachtet.

 

7.     Meditatives und kontemplatives Gebet oder die Stille in der Natur geniessen.

 

 

Diese kleinen Achtsamkeitsübungen helfen, einen wacheren Geist zu entwickeln und in stressigen Situationen bedachter oder weniger genervt zu reagieren. Das mag zwar banal klingen, aber ein achtsamerer Umgang mit sich selbst und anderen hilft, gelassener und friedvoller zu werden. Der innere Friede überträgt sich positiv aufs Umfeld. Eine friedvolle Person ist daher weniger gewaltbereit und weniger vorschnell im Urteilen über andere. Sie kann sich Zeit nehmen, den Mitmenschen zuzuhören und versuchen zu verstehen. Verstehen erzeugt Mitgefühl. Frieden beginnt daher im Kopf und im Herzen. Jesus sagt einmal: nicht was in den Magen reinkommt, mache den Menschen unrein, sondern was aus seinem Herzen herauskommt (vgl. Mt 15,11). Der Aufbau am Reich Gottes beginnt im Kleinen, wie ein Samenkorn. Ein Samenkorn, das in unsere Herzen und in unseren Köpfen eingepflanzt wird. Das heilsame Samenkorn des Evangeliums, das uns verwandelt und damit auch unsere Umgebung.

 

Predigt zum 14. So nach Pfingsten – Mammon und Sorglosigkeit: Mt 6,24-33

 

 

 

Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn nach alldem streben die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben. Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage.

 

 

 

Die Vögel des Himmels und die Lilien auf dem Felde

 

 

 

Die Natur lädt uns immer wieder zur Betrachtung über uns selbst ein. Die Vögel picken das, was sie erhalten und die Blumen auf dem Feld erstrahlen in ihrer Pracht ohne dass sie aktiv etwas dazu tun müssen. Sie sind einfach. Sie fragen nicht, sie messen sich auch nicht mit den anderen Blumen. Sie begnügen sich einfach mit ihrem Sein. Dieses Sein scheint auch etwas Zeitloses an sich zu haben. Sind wir gewohnt in Kategorien von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken und zu leben, verharren die Pflanzen in der Gegenwart, die geradezu zeitlos erscheint. Zeit und Raum fallen ineinander zusammen. Jesus nimmt also die Natur zum Vorbild, um uns etwas über die Sorglosigkeit des Reiches Gottes zu zeigen, das Sein und Gegenwart ins Zentrum stellt.

 

 

 

Die innere Unrast des Mammon

 

 

 

Wir sind in unserem Alltag gewohnt allem hinterherzurennen ohne je ans Ziel zu kommen. Die Rennerei ist zu einer Gewohnheit , einem Habitus geworden. Selbst wenn wir uns setzen, rennen wir innerlich weiter. Die Art wie wir essen, die Art wie wir reden, die Art wie wir Handlungen im Alltag ausführen sind oft hastig und mit wenig bedacht. Selbstvergessen in Gedanken über die Vergangenheit oder Zukunft sind wir im Strom der Zeit (Chronos) gefangen.

 

 

 

Wenn wir also vom Leben im Reiche Gottes und vom Leben im Mammon sprechen, dann stehen zwei Lebenshaltungen dahinter, die bis in unseren Leib, in unsere Handlungen hineinreichen. Die moderne Wirtschaft macht sich diese Haltung des „Immer – mehr“, des „Nicht - genügsam – seins“ zu Nutze. Gaukelt vor, dass wir den Konsum in all seinen Arten und möglichst billig benötigen, um glücklich zu sein. Wir müssen einem Ziel oder eine Art von Erfüllung nachstreben, die es nicht gibt, auch wenn wir die ganze Welt gewinnen würden (vgl. Mt 8,36).

 

 

 

Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht und doch nährt sie der himmlische Vater

 

 

 

Dieses Streben nach einem Ziel ist den Vögeln des Himmels und den Blumen auf dem Felde fremd. Sie sind einfach. Sie haben keine Ziele, sie leben in der Ziellosigkeit und daher im Hier und Jetzt, im Kairos des richtigen Augenblicks. Die Zeiterfahrung wird dadurch eine andere: nicht mehr linear, sondern räumlich, in die Tiefe. Wenn ich im Hier und Jetzt lebe und den Moment ganz voll auskoste, bin ich nicht mehr in Sorge um das Morgen. Ich kümmere mich um die Aufgaben, die jetzt anstehen und kann das Zukünftige auch mal ruhen lassen. Wenn ich den Moment ganz ausgekostet habe, dann muss ich mir auch keine Gedanken um das Vergangene machen und kann die Toten die Toten begraben lassen (Lk 9,57-62). Schau nicht zurück, sondern mache dich auf, für das Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit einzustehen. In der Lukaserzählung von der Nachfolge wird dieses Aufbrechen, dieses Hinter - sich - lassen auch der Vergangenheit deutlich. Die Erzählung bildet sozusagen der Gegenpol zum heutigen Evangelium. Da werden jene, die noch nicht im Hier und Jetzt erwacht sind, also im Reich Gottes, als Tote betrachtet. Und wahrlich, hetzen wir nicht genug von einem Termin zum anderen, taumelnd, wie Schlafende und nehmen uns gar nicht mehr wahr. Sich um das Reich Gottes zu kümmern, das im Hier und Jetzt stattfindet, müssen wir wachsam sein. Jesus lädt uns zu diesem Aufbruch ein, eine neue Vision für das Leben in Fülle. Diese Fülle kann erfahren werden, wenn wir uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren und in der Tiefe leben, was nichts anderes bedeutet, als sich mit Gott zu verbinden - wie die Wurzel einer Pflanze, die aus dem Boden ihre Nahrung gewinnt.  

 

 

 

Dieses Sich - verwurzeln schenkt Ruhe, Kraft und Sicherheit. In sich und damit in Gott ganz verwurzelt sein und darauf vertrauen, dass der himmlische Vater mir die Nahrung und Hilfe zukommen lässt, die ich benötige.

 

 

 

Im Moment verweilen bedeutet im Reich Gottes zu verweilen

 

 

 

Wer jemals versucht hat, im Hier und Jetzt zu verweilen, erlebt eine neue Fülle des Erlebten. Er/sie wird sicherer, ruhiger, gelassener und kann die kleinen Freuden des Alltags genießen wie ein Lächeln, eine Blume am Wegrand oder ein Frühstück auf dem Balkon. In der Logik des Reiches Gottes zu leben benötigt nicht viel. Damit können wir gleich beginnen:

 

 

 

Setzt euch einfach mal dort, wo ihr seid, hin, atmet tief ein und aus. Nehmt euren Körper wahr und dann die Umgebung, in der ihr euch befindet. Stellt Geräte wie Fernseher oder Radio ab. Tut, was ihr als Nächstes tun möchtet, achtsam und auf den Gegenstand konzentriert, es spielt keine Rolle, was ihr tut. Wichtig ist, wie ihr es tut. Nicht gedankenverloren, sondern konzentriert im Hier und Jetzt, ohne Hast.

 

 

 

Während des Alltags ist es hilfreich mehrmals kurz Inne zu halten, die Arbeit abzulegen und 1-2 Atemzüge zu nehmen, sich wieder gewahr zu werden, wie und wo man ist, also kurz mal bei sich «einchecken», um immer auch wieder bewusst zu werden, dass wir als lebendige Wesen von Gott geschaffen und geliebt sind wie eine Blume im Garten der Menschheit.

 

 

 

 

 

 

 

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Pfarrerin Birgit Leisegang